Alles anders.
Disclaimer: Ich werde hier über meinen Körper schreiben, und was damit passiert, seit ich die Anti-Baby-Pille abgesetzt habe. Es wird um Dinge gehen, die andere mit TMI kennzeichnen würden. Es geht um Blut, Tränen, Scheidentrockenheit. Wer das nicht lesen will, sollte hier aufhören und stattdessen irgendwas anderes machen (zum Beispiel eine Katze einkleiden).
Hallo, mein Name ist Lilly und seit ein paar Wochen ist alles anders. Ich habe die Pille abgesetzt. Das ganze ist mir nicht leicht gefallen, denn das kleine rosafarbene Tablettchen hat mich über acht Jahre lang begleitet. Und ich war eigentlich ganz glücklich damit. Ich merkte so gut wie keine Nebenwirkung, weder wurden die Brüste größer, noch nahm ich dadurch zu oder hatte keine Lust mehr an Sex. Meine Menstruationsbeschwerden wurden geringer und das kam mir recht entgegen. Ich hatte immer sehr starke und langanhaltende Blutungen, im Normalfall ungefähr sieben, oft aber auch zehn und mehr Tage. Ich kenne niemanden, der gerne ein Drittel des Monats rumblutet, und auch ich fand das – sagen wir mal – unangenehm. Nebenbei war ich in den ersten zwei Tagen der Menstruation zu nichts zu gebrauchen: Ich hatte trotz starker Schmerzmittel Kopfschmerzen, Unterleibskrämpfe und Rückenschmerzen und verbrachte die Zeit meist mit einer Wärmflasche auf dem Bauch und einer im Rücken vor mich hinjammernd im Bett. Ich war also recht froh darüber, als sich die monatlichen Blutungen auf ungefähr fünf Tage reduzierten, und die damit einhergehenden Schmerzen zum aushalten waren, seit ich anfing, die Pille zu nehmen.
Ansonsten war ich auch recht zufrieden. Eine meiner größten Schwierigkeiten mit Sex ist nämlich meine paranoide Angst vor Schwangerschaften. Ich meine, ich hab nichts gegen Kinder, einige meiner besten … – nein Moment, noch mal: Ich hab nichts gegen Kinder, ich find einige sogar recht niedlich, aber ich war bisher noch zu keinem Zeitpunkt meines Lebens bereit, selbst eins zeugen, austragen, gebären und aufziehen zu wollen. Und wenn ich paranoid schreibe, meine ich auch paranoid. Ich habe sogar Schwangerschaftstests gemacht, weil ich überfällig war, obwohl ich im vergangenen Monat gar keinen Geschlechtsverkehr hatte. Und das nicht nur einmal. Ja, man könnte sagen, ich möchte wirklich nicht schwanger werden. Und ich musste bisher nur deswegen noch nicht beim Arzt oder im Krankenhaus stundenlang warten, um ein Rezept für die “Pille danach” zu bekommen, weil ich die Pille nahm. Ich hab am eigenen Leib erfahren, dass Kondome reißen können, rutschen können. In solchen Momenten sagen zu können “Ich nehm ja noch die Pille” beruhigt ungemein und man kann sich dann voll und ganz auf die Angst vor Geschlechtskrankheiten konzentrieren.
Einige Dinge fielen mir allerdings auf, die auf die Einnahme der Anti-Baby-Pille zurückgeführt werden können, allerdings nicht müssen. Zum einen begann ich, mein Haus näher am Wasser zu bauen. Es fiel mir vorher sehr schwer, vor anderen Menschen zu weinen, selbst bei wirklich traurigen Themen. In der ersten Zeit der Einnahme hätte man mir wahllos zusammenhangsfreie traurige Szenen aus einer x-beliebigen Daily Soap zeigen können, und ich wär in Tränen ausgebrochen. Fand ich persönlich leicht problematisch. Es gibt ja Menschen, die sehen sehr schön aus, wenn sie weinen. Ich sehe heulend aus wie eine Mischung zwischen schwerer Erkältung, allergischen Reaktion, Cannabiskonsum und kubistischen Portrait. Inzwischen hab ich mich daran gewöhnt, und finde es ehrlich gesagt auch gesünder, zu weinen, wenn es was zu weinen gibt, als früher alles herunterzuschlucken und die Starke zu geben.
Zum anderen kam es häufiger vor, dass meine sexuelle Erregung und meine Lubrikation sich anscheinend vollkommen unabhängig voneinander entwickelten. Das ist etwas frustrierend, aber mit ein paar Tricks kann man sich da behelfen, kein großes Drama.
Ihr seht, eigentlich ging es mir gut. Bis zu dem Zeitpunkt, als ich mit seltsamen Schmerzen zum Arzt ging und er mich wegen Thromboseverdacht weiterüberwies. Um es gleich vorweg zu nehmen, es war keine Thrombose, Glück gehabt. Aber die Gedanken, die Zweifel, die ich vorher gut unterdrücken konnte, wurden lauter. Ich nehme die Pille. Ich habe früher geraucht. Ich habe Übergewicht. Alles Faktoren, die das Thromboserisiko erhöhen. Ich fühlte mich nicht mehr wohl damit. Noch dazu kam, dass ich große Probleme dabei habe, wie die Verhütungspillen heutzutage beworben werden. Als wäre es kein Medikament, sondern ein Lifestyleprodukt. Als wäre es vollkommen natürlich, die Pille zu nehmen. Und wenn ich ehrlich bin, war ich ein bisschen neugierig, wie es ist, die Hormone abzusetzen. Wie es ist, einen natürlichen Zyklus zu haben. Also entschloss ich mich, die Pille abzusetzen. Nach fast einem Jahrzehnt.
Ich wachte auf und war wieder 15. Zumindest sah mein Gesicht so aus. Waren das… Pickel? Versteht mich nicht falsch, ich hatte immer mal wieder Pickel im Gesicht. Aber mehrere, nein, sogar so viele auf einmal? Nie. Und es hörte nicht auf, es wurden sogar mehr. Plötzlich sogar auf dem Dekolleté! Wisst ihr, wann ich das letzte Mal Pickel auf dem Dekolleté hatte? Das war noch… oh: vor der Pille. Ich hatte nie wirklich schlimme Akne, ich hatte früher die Haut eines normalen Teenagers. Eine Mischung aus Pickel, Mitessern, und Verzweiflung eben. Naja, und die hatte ich dann in der ersten Woche nach der Absetzung eben auch. Inzwischen hab ich das Gefühl, dass es etwas weniger geworden ist, aber vielleicht gewöhn ich mich auch einfach dran und achte nicht mehr so sehr darauf.
Meine große Angst, wieder an starken Blutungen leiden zu müssen, erfüllte sich vorerst nicht. Ich muss aber auch gestehen, dass das erst meine zweite Blutung seit dem Absetzen ist und ich deswegen noch kein wirkliches Urteil erlaube. Die Schmerzen waren schlimm, aber nicht so schlimm wie in der Pubertät und mit Schmerzmitteln gut in den Griff zu bekommen.
Die Symptome, die üblicherweise als “PMS” bezeichnet werden, änderten sich stark. Auch wenn es sich bei der Blutung, wenn man mit der Pille verhütet, um eine Abbruchblutung und keine richtige Menstruationsblutung handelt, hatte ich doch deutliche Symptome in der Zeit der Pillenpause, also in den Tagen, in denen ich die Pille nicht nahm, vor allem in den Tagen vor der Blutung. Der Einfachheit halber bezeichne ich das hier also als PMS. Ab dem Tag, als mein Körper nicht mehr die Hormone bekam, wurde ich stark dünnhäutig. Es war relativ einfach, mich auf die Palme zu bringen, ich war schnell genervt und immer gereizt, hatte Heißhungerattacken und Übelkeit (manchmal gleichzeitig). Ich gewöhnte mich dran, ich wusste ja, dass sich das wieder gibt, wenn ich den nächsten Blister anfange.
Die letzten “Tage vor den Tagen”, meine ersten richtigen seit langer Zeit, waren, nunja, spannend. Ich war von dem einen auf den anderen Moment sehr, sehr traurig. Ich schob es zunächst auf Liebeskummer, dann auf den November, aber als ich darüber nachdachte, wurde mir klar, dass ich einfach nur so, von innen heraus tieftraurig war. Ich weinte. Ich weinte lange. Ich weinte immer wieder. Und wusste nicht warum. Ich würde jetzt gerne behaupten, dass das eine total eindringlich-tolle Erfahrung war, mit mir selbst und eine Reise zu meinem Inneren, aber dann müsste ich lügen. Ich fühlte mich, als wie eine Figur aus einer Charles-Bukowski-Story, die stundenlang Adele gehört hat und gerade ein Stück trockenen Käsekuchen essen muss. So deprimiert war ich. Die Traurigkeit verflog interessanterweise genauso unangekündigt, wie sie auftauchte.
Genauso abrupt spannte mein BH nicht mehr so. In den Tagen vor der Blutung begann ich plötzlich zu bemerken, dass mein BH anders saß. Als wäre er .. gefüllter. Das war seltsam, ich hatte ihn nämlich erst vor kurzem gekauft, und da passte er hervorragend. Hab ich etwa zugenommen? Da mit der Blutung auch mein BH wieder passte wie vorher, kam ich irgendwann auf den Trichter, dass das ja auch ein bekanntes Symptom des PMS ist. Brüste werden in der zweiten Zyklushälfte etwas größer! Ich glaube, ich habe das mal im Schulunterricht lernen müssen, aber entschuldigt mich, ich hatte seit Ewigkeiten keinen normalen Zyklus mehr. Ich entdecke meine Brüste neu. Yay, Boobies!
Apropos Boobies. SEX. SEX. SEX. SEX. SEX. SEX. SEX. Hab ich schonmal Sex gesagt? Ich denke pausenlos daran. Ich denke öfter an Sex als ein 12jähriger Junge, der tumblr für sich entdeckt hat. Ich träume sogar von Sex. Ja, das ist für mich eine große Sache, denn ich hatte bislang nur ein einziges Mal einen Traum mit sexuellen Inhalt. Seit der Pillenabsetzung: zwei. Ich hatte sogar einen Dreier im Traum, das war awesome. Ich denke so oft an Sex, dass ich meine persönliche tabellarische Statistik um Tortendiagramme erweitert habe. Eigentlich laufe ich den ganzen Tag mit Ladyboner umher. Aber mal ganz im Ernst: Das ist schrecklich! Das nervt! Das soll aufhören! Oh, guck, erotische Wäsche.
Als Mann* (TM) begegne ich dem Thema “welchen großen Einfluss hat die Pille auf die Physis und Psyche der Frau” nicht allzu häufig. Menstruation (-sbeschwerden) werden in meiner Umgebung auch nicht stark thematisiert. Sicherlich kann ich danach googlen oder andere Menschen fragen. Darüber sprechen finde ich schwierig. Teils ist es mir unangenehm, teils ist es dem weiblichen Gegenüber, jedenfalls in meiner Erfahrung.
Auf jeden Fall hört es sich sehr krass an und ich werd versuchen mich mehr damit zu beschäftigen.
Vielen Dank für deinen Mut.
*blödeste Formulierung ever, aber hier fällt mir nichts anderes ein
Schön das mal darüber geschrieben wird. Danke.
Hört sich teilweise ja “unschön” an o_O ich möchte nicht tauschen und freue mich dass du offenbar recht gut damit zurecht kommst, so entnehme ich es jedenfalls den “Witzen”.
Interessant. Wirklich.
Ich bin trotzdem froh ein kerl zu sein.
Meine erste Freundin nahm die Pille schon bevor wir unser erstes mal hatten. Damals hat mich das total iritiert , bis sie mir erklärt hat das es eben nicht nur um Verhütung geht.
Frag mich wieviele Frauen die Pille nehmen ohne die ganzen Nebenwirkungen zu kennen. Also aus eigener Erfahrung, nicht nur weil der Arzt es ihnen gesagt hat.
Interessante Einblicke, also jedenfalls für mich, bin bei dem Thema auch nicht so bewandert, außer das ich mal bemerkt habe das jede Frau mindestens 2 Wärmflaschen besitzt…Die Kinder Paranoia kann ich allerdings sehr gut nachvollziehen, da leide ich auch dran